Von der zufälligen zur mutwilligen Landschaftsfotografie
Wir kennen es alle: Der Spaziergang oder die Wanderung mit der Familie oder dem Partner steht an. Und sofort nistet sich ein Gedanke ein: Soll ich die komplette Ausrüstung oder nur "leichtes" Gepäck mitnehmen? Der ambitionierte Fotograf nimmt natürlich alles mit. Stell Dir vor, es kommt der Jahrhundertspot und man hätte nur sein Handy dabei. Das kann durchaus sein, aber mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit kommt er nicht. Statt die Angehörigen mit Warten und Belichtungsreihen zu nerven, kümmere Dich besser mal um dieselben und mach das wozu der Ausflug eigentlich gedacht war: Ein gemeinsames Erlebnis miteinander, das Leben ist kurz genug. Deshalb: Genieße die Stunden in der Gemeinschaft und geh dann zum Fotografieren mit Ansage – und das am besten alleine.
Was aber tun, wenn man die absolute Location beim Spaziergang entdeckt? Da kann ich Dich auch beruhigen: Die Landschaft ist in der Mehrzahl der Fälle später auch noch da. Landschaften ändern ihr Aussehen nicht spontan von selbst, es sei, der Mensch greift ein und die Bagger stehen schon bereit oder es liegen schon die Motorsägen herum...
Ruhe bewahren :-) – die Checkliste
Ich merke mir die Stelle für später und werde zum eigenen Locationscout. Und hierfür reicht ein einfaches Smartphone:
- Ich suche mir den Punkt von dem ich glaube, dass er ein gutes Foto werden kann.
- Ich mache Bilder mit dem Smartphone, 360-Grad-Shots oder gleich eine kurze Filmsequenz.
- Ich prüfe anhand einer Sonnenstands-App, zu welcher Tageszeit das Licht an diesem Ort ideal ist.
- Ich prüfe auch gleichzeitig den Sonnenstand zu den unterschiedlichsten Jahrszeiten. Wie fallen die Schatten der Objekte z. B. von Bäumen, Felsen und Hügeln? An Orten die ich eventuell nicht mehr wiederfinde, halte ich meine Position mittels einer GPS-App fest.
- Wie sieht der Baumbestand aus? Sind es Laubbäume, die im Herbst die Farben ändern? Gerade Laubbäume haben im Frühjahr herrliche Grüntöne.
- Wie steht's generell um die Vegetation? Sind es landwirtschaftliche Nutzflächen die gemäht werden? Sieht man eventuell tiefe Reifenspuren in den Wiesen?
- Wachsen irgendwo alte, markante Bäume? Bei alten Bäumen kann man nie sicher sein, wie lange die noch halten. Hier würde ich deshalb nicht zu lange warten, es kann sein, dass der Baum beim nächsten Sturm umfällt oder abbricht.
- Gibt's an dem Ort einen Bach, einen Wasserfall oder einen Teich / See? Wasserstände ändern sich mit der Niederschlagsmenge. Manche Teiche werden auch im Winter abgelassen.
- Nicht immer nur das schöne Wetter im Auge behalten: Wie könnte die Location bei bewölktem Himmel, Nebel, Regen oder Schnee aussehen? Hier ergeben sich ganz neue Chancen. Schönwetterknipserei kann jeder...
- Kann ich in der Nähe parken und wie lange dauert die Anfahrt? Ich erfasse immer auch gleich, wie schnell ich dort sein kann. Wenn ich zuhause sehe, dass es in 30 Minuten einen grandiosen Sonnenuntergang geben könnte, ich aber schon eine Stunde bräuchte, bis ich endlich da bin, setze ich mich lieber auf die Terrasse und schau mir das Spektakel so an.
- Wie sind die Wege beschaffen und welches Schuhwerk brauche ich? In meinem Kofferraum befinden sich immer ein paar billige Gummistiefel. Wer am Morgen über längere Zeit in einer nassen, vom Morgentau getränkten Wiese gestanden hat, weiß wovon ich rede.
- Wann sind hier viele Leute und wann gar nicht? Ich habe gerne beim Fotografieren meine Ruhe. Punkt. Fotografie hat was mit Meditation und auch Konzentration zu tun. Menschen die vor dem Objektiv rumlaufen kann ich zur Not noch rausretuschieren, besser ists, wenn ich sie erst gar nicht im Bild habe. Das verhält sich auch so hinter der Kamera. Ich unterhalte mich gerne mit Menschen, aber nicht, wenn ich durch den Sucher schaue.
- Gibt es irgendwo störende Elemente? Hier fällt alles drunter, was man im ersten Moment nicht sieht, Papierkörbe, Stromleitungen, Strommasten, Abfälle...
Das klingt nach einer Menge Zeug, aber mit der Zeit bekommt man einen Blick dafür. Wenn Du das alles berücksichtigst, kannst Du Dir ausrechnen, wann und wo es lohnenswert ist. Fotografieren mit Ansage, ich nenne es mal mutwillige Fotografie. Das ist zwar immer noch keine Garantie für einzigartige Bilder, aber Du bist ihnen ein großes Stück näher gekommen.
Wie geht's weiter?
Ich mache es zu meinem Projekt. Wenn die Jahreszeit und das Wetter passt, ziehe ich früh morgens oder abends los und platziere mich. Also genau umgekehrt, nicht drauf losziehen und darauf hoffen, dass die Variablen passen, sondern warten bis die Variablen passen und dann ab zur Location. Wenn man wie ich oft in der Natur unterwegs ist, kennt man viele fotografisch lohnenswerte Stellen. Manche funktionieren nur zu einem bestimmen Zeitpunkt.
An der Location angekommen variert dann meist der Standpunkt, es sieht bei anderem Licht betrachtet doch oft nochmal anders aus, als ich mir das vorgestellt hatte. Überaschungen sind das Salz in der Suppe. Dann warte ich, bis das Licht passt. Oft klappt das, manchmal geht's aber auch komplett daneben. Auch das musste ich lernen. Manchmal muss ich mir eingestehen, dass es einfach nicht hinhauen will, das Unplanbare zu planen.
Schönes Zitat zum Schluss:
„Bei ungünstigen Lichtverhältnissen oder unfotogenen Motiven ist es eine Kunst, NICHT auf den Auslöser zu drücken!”
Andreas Feininger (1906—1999)