Engalm - ein neuer Versuch
Wiederholungstäter
Letztes Jahr war ich im Spätsommer hier, der Herbst hatte noch nicht richtig angefangen und ich habe ein paar sehr entspannte Tage "in der Eng" verlebt. Aktuell gelten zwar Reisebeschränkungen, aber die Eng ist von den östereichischen Bestimmungen großteils ausgenommen, da der einzige Zufahrtsweg über Deutschland kommt. Ich niste mich wieder ein paar Tage im Hotel in der Eng ein und habe diesmal meine Mittelformatkamera dabei. Da ich ohnehin den ganzen Tag alleine durch die Berge laufe, muss ich mich auch nicht sonderlich um Abstandsregeln und ähnliches kümmern. Wenn ich fotografiere, bin ich kein geselliger Geselle...
Die Lalider im Karwendel sind eine beeindruckende und imposante Felswand. Ich habe mir oft vorgestellt, wie die Felsen im Sonnenuntergang von der Sonne angestrahlt werden und leuchten, ähnlich zu den Dolomiten. Sie werden, bedingt durch ihre Ausrichtung, nur in den Abendstunden im Juni oder Juli von der Sonne beschienen. Tagsüber steht die Sonne hinter den Bergen und man fotografiert gegen das Licht. Das lässt sich mit einer App zur Ermittlung des Sonnenstands einfach berechnen. Wenn ich die schwere Fotoausrüstung einen Berg hochtrage, weiß ich bereits vorher was ich fotografiere, meistens :-). Eine weitere Variable ist das Wetter. Es hat die Tage zuvor geregnet und es sind einige Wolken am Himmel. Die Luftfeuchtigkeit ist hoch und wenn die Temperatur am Abend in der Höhe (ca. 2000HM) sinkt, kondensiert das Wasser in der Luft und wird zu Nebel. Hierzu ist es gut zu wissen wo der Taupunkt liegt (Auch hier kann eine gute Wetterapp weiterhelfen, die bei der Vorhersage den Taupunkt angibt). Und das Wichtigste: Warme, trockene und windichte Kleidung. Nach einem Aufstieg schwitze ich regelmäßig und dann stehe ich hinter meiner Kamera, warte auf den richtigen Moment und beginne zu frieren. Außerdem: Eine Stirnlampe für den Abstieg und Trittsicherheit im Dunkeln. Sicherheit geht vor. Planung ist alles.
Gleich am ersten Tag wandere ich munter drauf los und habe vor, den Sonnenuntergang am Hohljoch zu verbringen. Die Bilder vom letzten Mal noch im Kopf machen mich zuversichtlich. Es kann aber auch ein totaler Reinfall werden und ich trotte ohne Fotos wieder runter. Aber eine 50%-Chance ist es :-). Ich bin bereits nach einer Stunde "oben" und suche mir schon mal ein Plätzchen. Mit der Sonnenstands-App berechne ich den besten Winkel der untergehenden Sonne, den Lichteinfall und wie der Schattenwurf sein könnte. So der Plan.
Es gibt die landläufige Meinung, dass Landschaftsfotografie etwas Gemütliches und Gemächliches ist. Man sitzt mit einer Thermoskanne Tee im Gras, denkt an nichts Böses und schießt von Zeit zu Zeit ein Foto. Dazwischen macht man Pause oder erholt sich von der Pause. Ich kann für mich sagen: Dem ist nicht so. Stimmungsvolle Bilder bekomme ich nur vor Sonnenaufgang und kurz danach und beim Sonnenuntergang. Das heißt früh raus und spät ins Bett. Effektiv sind das jeweils 60 - 80 Minuten am Morgen und am Abend.
Das Licht ändert sich mit dem sinkenden Sonnenstand minütlich. Ich sehe diese beeindruckende Felswand vor mir, einmal mit Wolken und einmal ohne. Einmal mit Sonne und dann wieder ohne Sonne. Jedesmal wenn ich dem Impuls folge, das Objektiv zu wechseln, ist das Licht wieder anders. Ich schieße unzählige Fotos und bin ständig im Zweifel... Stimmt der Bildausschnitt (ich kann Cropping nicht leiden)? War die Belichtung korrekt? Hat der Wind am Stativ gewackelt? Wäre ein anderer Standpunkt vielleicht besser gewesen? Sollte ich das Fotografieren aufgeben und mir eine Playstation kaufen? Und irgendwann kommt der Augenblick, da verfliegen alle Zweifel. Die Sonne geht unter, die Wand wird angeleuchtet und die Wolkenfetzen beginnen zu glühen. Zunächst noch verhalten, dann so unglaublich satt, dass man glauben möchte, die Gipfel brennen. Das ist der Jackpot. Ich bin noch keine 4 Stunden hier und habe etwas fotografiert, was sich die kommenden Tage schwer toppen lässt. Ich stehe noch lange danach da und packe im Dunkeln meinen Plunder zusammen und steige mit der Stirnlampe ins Tal hinab.
Die kommenden Tage erlebe ich noch viele klasse Momente. Aber es ist auch anstrengend. Früh raus mit schwerem Gepäck, meist 2 Bergtouren pro Tag und im Dunkeln zurück ins Hotel. Nach einer kurzen Nacht das gleiche Spiel auch die nächsten Tage... Wie heißts so schön: Der Schmerz geht, der Stolz bleibt :-)